Windräder eines Windparks in der Ostsee vor Rügen drehen sich.
exklusiv

Überwachung der Ostsee Mit Windrädern gegen Russland?

Stand: 15.05.2025 11:07 Uhr

Die Ostsee ist Schauplatz eines hybriden Krieges Russlands gegen NATO-Staaten. Nun will Deutschland zunehmend zivile Infrastruktur auf See für militärische Überwachung nutzen.

Von Von Florian Flade (WDR), Antonius Kempmann und Reiko Pinkert (NDR)

"Die Lage ist prekär, das ist offenkundig", so beschrieb kürzlich der neue Außenminister Johann Wadephul die sicherheitspolitische Situation im Ostsee-Raum in einem Zeitungsinterview. Der CDU-Politiker verwies auf mutmaßliche Sabotageakte an Unterseekabeln, regelmäßige Provokationen durch die russische Luftwaffe und Marine. "Es liegt also auf der Hand, dass wir hier in einem Gefährdungsraum leben." Wadephul kündigte an, künftig mehr Aufmerksamkeit auf diese Region lenken zu wollen. 

Wie aber lässt sich die Ostsee und die darin befindliche kritische Infrastruktur besser vor Spionage und Sabotage schützen? Die NATO hat inzwischen eine Task Force namens "Baltic Sentry” eingerichtet: Es gibt mehr Patrouillen und mehr Überwachungsflüge. Nicht nur russische Marineschiffe stehen dabei im Fokus, sondern zunehmend auch die "Schattenflotte", jene oft schrottreifen Tanker, mit denen Russland offenbar  Sanktionen umgeht und weiterhin Öl in alle Welt verkauft.

Öl-Plattformen, Windparks, Unterwasser-Technik

Doch abgesehen von der offensichtlichen militärischen Präsenz in der Ostsee geschieht einiges: Mehrere NATO-Staaten, darunter Deutschland, arbeiten an weiteren Maßnahmen, mit denen die Sicherheit auf See erhöht werden soll. Dazu zählt der Ausbau von Sensorik, mit der Schiffsaktivitäten auf und unter Wasser festgestellt werden können. Zu diesem Zweck soll verstärkt zivile Infrastruktur für militärische Aufklärung und Überwachung eingebunden werden.

In der Praxis bedeutet das: Offshore-Windparks, Öl-Plattformen und auch Unterwasser-Technik wie Datenkabel sollen in der Ostsee genutzt werden, um russische Schiffe und U-Boote aufspüren und verfolgen zu können.

So heißt es beispielsweise im Flächenentwicklungsplan (FEP) für das Jahr 2025, der vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erstellt wird: "Der Bundeswehr soll es möglich sein, auf Windenergieanlagen, Plattformen und sonstigen Energiegewinnungsanlagen, insbesondere auf Plattformen, feste Einrichtungen wie Sende- und Empfangsanlagen zu installieren und zu betreiben."

Verpflichtung für Windparkbetreiber

Darüber hinaus sollen die Windpark- und Übertragungsnetzbetreiber nach diesem Plan erstmalig verpflichtet werden können, eigenständig Radaranlagen installieren und betreiben zu müssen. Die erhobenen Daten sollen dann verschlüsselt an die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung übermittelt werden. Eine Weitergabe an die Bundeswehr schließt diese Behörde auf Nachfrage explizit nicht aus. 

Die Anordnung zur Installation von eigenen Radaranlagen sorgte bei einigen Betreibern für Aufregung. Sie befürchten einen großen Mehraufwand für die Installation. Baugenehmigungen müssten ebenso eingeholt werden wie neue Versicherungen. Außerdem sei die Frage der Finanzierung in Teilen noch nicht geklärt.

Unklar bleibt zudem die Frage, ob die privatwirtschaftlichen Anlagen weiterhin als zivile Infrastruktur betrachtet werden können oder von einem potentiellen Gegner als legitimes militärisches Ziel angesehen werden könnten.

Mehrere Energieerzeuger, darunter die Unternehmen RWE, 50Hertz, EnBW und Tennet, teilten auf Anfrage von WDR und NDR mit, dass man keine Auskünfte zum Schutz der kritischen Infrastruktur und zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden erteile.

Geht der zivile Charakter der Windkraftanlagen verloren?

Stefan Thimm vom Bundesverband der Windenergie Offshore e.V. bestätigt im Interview mit NDR und WDR die Sorge der Betreiberfirmen, dass der zivile Charakter der Windkraftanlagen verloren gehe. Auch sei unklar, wie Versicherer damit künftig umgehen. Der konkrete Schutz der Anlagen müsse allerdings Aufgabe des Staates bleiben.

Er könne sich nicht vorstellen, dass auf Windanlangen Abwehrgeschütze stationiert werden, so Thimm. Insgesamt überwiege aber das Interesse der Betreiber am Schutz ihrer Anlagen. "Wir wollen den Schutz haben und das setzt natürlich auch voraus, dass wir Daten teilen."

Besserer Schutz ziviler Anlagen

Der Experte für Maritime Sicherheit, Moritz Brake, hält den geplanten Schritt für hochsinnvoll. Gegenüber NDR und WDR sagte er: "Die Betreiber (…) können einen wichtigen Beitrag leisten durch Überwachungsmaßnahmen und damit auch unsere Sicherheit auf dem Meer substanziell stärken." Laut Brake geht es nicht darum, kritische Infrastruktur zu Zielen zu machen, "denn Ziele sind sie leider sowieso schon". Es gehe darum, sie besser zu schützen.

Die bisherige Seeraumüberwachung erfolgt seit 2012 vor allem über das so genannte AIS-System (Automatic Identification System - auf Deutsch "Automatisches Identifikationssystem"). Jedes größere Schiff ist verpflichtet, dieses funkbasierte Tracking-System zu nutzen und ein spezielles AIS-Gerät an Bord zu haben. Dieses Gerät sendet in Echtzeit unter anderem den Namen des Schiffes, die Position und den Zielhafen.

Bisherige Überwachung "unzureichend"

Laut Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erweist sich die Seeraumüberwachung mit AIS allerdings als "unzureichend". Schließlich sei man dabei auf eine aktive Mitwirkung der Schiffsbesatzungen angewiesen. Vor allem Schiffe, die der russischen "Schattenflotte" zugerechnet werden, schalteten regelmäßig die AIS-Geräte aus, offenbar um nicht geortet zu werden. 

Eine weitere Maßnahme, die an Bedeutung bei der Überwachung der Ostsee gewinnen könnte, betrifft den hochsensiblen Bereich der militärischen Unterwasser-Aufklärung. Dabei geht es vor allem darum, russische U-Boote und Unterwasser-Drohnen mit Sensorik aufzuspüren und nachzuverfolgen. Dies geschieht seit Jahrzehnten vor allem mittels Hydrophonen, also Mikrofonen, die im Meer die Geräusche der Schiffsschrauben aufzeichnen.

Glasfaserkabel als Sensoren?

Mittlerweile aber wird eine weitere Methode erprobt: Nach Informationen von WDR und NDR gehen Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst (BND) schon seit einigen Jahren der Frage nach, inwiefern die zahlreichen Glasfaserkabel, die am Grund der Ostsee verlaufen, nicht auch als Sensoren für militärische Aufklärung genutzt werden könnten.

Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass Schiffe und auch Meerestiere wie Wale von den elektronischen Impulsen, die von den Kabeln ausgesendet werden, erfasst werden. Distributed Acoustic Sensing (DAS) wird diese Methode genannt. Anders als für die geplanten Radaranlagen auf den Windkraftanlagen gibt es für die Unterseeüberwachung entlang der Glasfaserkabel allerdings noch keine gesetzliche Regelung.

Lisa Hentschel, NDR, tagesschau, 15.05.2025 11:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 15. Mai 2025 um 10:40 Uhr.