
Rheinland-Pfalz Leben mit Post Covid: "An schlimmen Tagen sind die Schmerzen kaum aushaltbar“
Laura aus Worms ist nach ihrer Corona-Infektion pflegebedürftig. Bei der vorerkrankten 32-Jährigen hat Post Covid zu einer Verschlechterung von ME/CFS geführt. Sie gilt als schwerste Form von Post Covid.
ME/CFS ist eine neuroimmunologische Erkrankung, die sowohl zu erheblichen körperlichen als auch kognitiven Einschränkungen führt. Lauras Leben hat sich komplett verändert, da sich ihr Zustand enorm verschlechtert hat. Im Interview erzählt sie über ihren Alltag und wie wichtig es ist, als Erkrankte gesehen und gehört zu werden.
- einer schweren körperlichen Schwäche (Fatigue genannt), die mögliche Aktivitäten erheblich einschränkt
- Symptomen wie Herzrasen, Schwindel, Blutdruckschwankungen, schmerzhaften Schwellungen an Lymphknoten sowie Muskel- und Gelenkschmerzen
- einer ausgeprägten Verstärkung aller Symptome nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung
SWR Aktuell: Du hattest vor der Corona-Pandemie bereits eine Vorerkrankung. Wie hat die Corona-Infektion anschließend dein Leben verändert?
Laura: Genau, ich bin mit 16 Jahren am Epstein-Barr Virus erkrankt, wovon ich dann ME/CFS bekommen habe. Mir ging es schlecht. Ich musste unter anderem mein Zahnmedizinstudium abbrechen, weil ich durch meine Erkrankung zu sehr eingeschränkt war. Aber ich konnte mein Leben alleine führen. Ich war nicht pflegebedürftig, ich konnte arbeiten. Dann kam Corona und die zwei Infektionen haben meinen Zustand komplett verschlechtert. Das war ein ganz harter Einschnitt für meine Erkrankung und für mein Leben, weil der Körper sehr schnell und so stark abgebaut hat, dass ich plötzlich im Rollstuhl saß. Ich habe so starke Schmerzen bekommen, die ich so noch nie hatte. Jetzt bin ich bettlägerig und pflegebedürftig, mit Pflegestufe 5.
SWR Aktuell: Wie schaut dein Alltag derzeit aus?
Laura: Ich wohne mit meinem Freund zusammen. Felix ist ebenfalls an ME/CFS nach seiner Corona-Infektion erkrankt. Wir werden derzeit von meinen Eltern gepflegt. Wir schlafen in getrennten Betten, in getrennten Zimmern, rund um die Uhr, weil wir durch die Erkrankung so reizempfindlich sind, dass wir unsere gegenseitige Anwesenheit nur ganz punktuell ertragen. Und weil wir starke Schlafstörungen haben, können wir auch nicht in einem Zimmer zusammenliegen. Wir liegen in unseren Betten, bis meine Eltern morgens zu uns kommen. Sie übernachten auch immer wieder bei uns, wenn wir oft Hilfe in der Nacht brauchen. Dann fängt die Morgenroutine an, sie bereiten uns Frühstück und unsere Medikamente vor. Ich kann meistens nicht selbst auf die Toilette oder den Toilettenstuhl gehen, dann brauche ich Hilfe. Danach versuchen wir zu essen. Manchmal kann ich selbst essen und den Löffel selber halten. Ansonsten muss ich gefüttert werden. Essen ist für uns körperlich sehr anstrengend. Man liegt permanent im Bett und muss sich erst wieder vom Frühstück erholen. Dann brauchen wir sehr viel Ruhe und möglichst viel Zeit alleine. Man liegt eigentlich fast immer im Dunkeln, weil wir auf Licht, genau wie auf Geräusche, reizempfindlich reagieren.
Manchmal kann ich selbst essen und den Löffel selber halten. Ansonsten muss ich gefüttert werden. Laura, Post Covid - und ME/CFS-Betroffene
SWR Aktuell: Wie zeichnet sich ein guter Tag für dich aus? Und wie schaut ein schlechter Tag aus?
Laura: An einem schlechten Tag kann ich gar nicht reden. Da muss ich mit Gehörschutz im Bett liegen, also mit so einem großen Baustellengehörschutz und mit einer Augenmaske. Es muss komplett dunkel sein und keiner darf in mein Zimmer, weil jeder Kontakt einen "Crash" auslöst. Jede kognitive oder körperliche Überlastung könnte dann eine Verschlimmerung bedeuten. Damit es nicht schlimmer wird, muss man auf alle potentiellen Reize, wie Geräusche oder Berührungen, verzichten. Dazu kommen jeden Tag Schmerzen. Ich habe immer chronische Schmerzen in den Muskeln, Gelenken und außerdem Kopfschmerzen. Aber an schlimmen Tagen sind diese Schmerzen auch mit Schmerzmitteln kaum aushaltbar, da kann ich mich gar nicht mehr bewegen, nicht mal die Hand heben. Jede Berührung tut weh, sogar die Decke auf mir tut weh. Das ist wie Folter, wenn man nicht weiß, wie man den Tag rumbringen soll. Wenn man sich nicht ablenken kann und nichts tun kann, um dieses Leid irgendwie zu mildern, sage ich jetzt mal.
An schlimmen Tagen sind die Schmerzen auch mit Schmerzmitteln kaum aushaltbar, da kann ich mich gar nicht mehr bewegen, nicht mal die Hand heben. Jede Berührung tut weh, sogar die Decke auf mir tut weh. Laura, Post Covid und ME/CFS-Betroffene
Selbst an guten Tagen geht es uns nicht so gut, dass wir länger im Rollstuhl sitzen, uns selbst Frühstück machen oder uns selbst waschen könnten. Wenn es ein guter Tag ist, dann habe ich vielleicht nicht ganz so schlimme Schmerzen. Dann kann ich mit Felix zumindest abends mal eine Stunde Zeit verbringen. Dann kommt er aus seinem Bett in meins. Dann können wir nebeneinander liegen und ein wenig sprechen. Oder ich kann mit dem Elektrorollstuhl ins Bad gebracht und geduscht werden.
SWR Aktuell: Helfen dir Arztbesuche? Oder wie ist es möglich, deine täglichen Schmerzen zu lindern?
Laura: Arztbesuche sind sehr schwierig. Im Moment bin ich nicht transportfähig, das habe ich ärztlich attestiert bekommen. An guten Tagen, und wenn man es wagt, kann ich liegend zum Arzt gebracht werden. Das ist sehr überlastend, deshalb kann sich der Zustand auch dadurch verschlechtern. Im Moment vermeide ich daher Arztbesuche, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Das ist natürlich blöd, denn meine Neurologin zum Beispiel ist die Person, die mir helfen kann. Aber ich komme derzeit nicht mehr zu ihr und muss dann aus der Ferne behandelt werden. Unsere Hausärztin macht Hausbesuche und schaut dann nach uns. Aber man fühlt sich oft sehr alleine gelassen und auch unbehandelt.
SWR Aktuell: Wie schaut es mit einer Reha aus? Oder Medikamenten?
Laura: Das Problem mit der Reha ist, dass sich viele Ärztinnen und Ärzte noch nicht genau mit dem Krankheitsbild auskennen. Außerdem variiert Post Covid bei den Erkrankten zu stark, dass nicht allen gleich geholfen werden kann. Da unser Hauptsymptom die Zustandsverschlechterung nach körperlicher oder kognitiver Anstrengung ist, kann man mit körperlicher Belastung und vor allem Sport viel mehr Schaden anrichten. Auch gibt es keine Garantie bei Medikamenten, dass sie helfen. Es gibt einige Medikamente, die ein paar Symptome lindern, wie bestimmte Herzmedikamente das starke Herzrasen. Wir haben schon viele ausgetestet und nehmen das, was die Symptome lindert. Aber nachhaltig den Zustand verbessern können sie oft nicht. Es gibt noch kein "Heilmittel", die medizinische Forschung ist leider noch nicht soweit.
SWR Aktuell: Du bist ja unter anderem Mitglied in der Selbsthilfegruppe in Worms. Welche Rolle erfüllen für dich diese Selbsthilfegruppen?
Laura: In Selbsthilfegruppen kann man sich austauschen. Gerade bei Facharzt-Empfehlungen erhalten wir zum Beispiel Erfahrungsberichte durch andere. Es gibt dazu noch Fatigatio e.V., das ist ein Verein für ME/CFS-Erkrankte, der sich bereits lange vor Corona für Erkrankte eingesetzt hat. Es gibt Onlinetreffen, aber auch telefonische Beratungen. Sie haben mir extrem geholfen. In diesen Gruppen kriegt man auch neue Studien geteilt oder wenn es neue Medikamente gibt.
Was wir uns wünschen, ist, dass einfach viel mehr Aufklärung in der Gesellschaft, aber auch unter der Ärzteschaft betrieben wird und vor allem viel mehr Geld in die Forschung und Suche nach einem Heilmittel gesteckt wird. Laura, Post Covid - und ME/CFS-Betroffene
SWR Aktuell: Was würde euch und anderen Betroffenen helfen, gerade wenn wir in die Zukunft schauen?
Laura: Es ist ein sehr großes Risiko, wenn sich die Ärzte mit der Erkrankung nicht auskennen. Unserer Erfahrung nach haben Ärzte den Impuls, wenn sie sich nicht damit auskennen, dass sie es dann in die psychische Ecke schieben. Das begegnet eigentlich allen Betroffenen, uns wie auch denjenigen in den Selbsthilfegruppen. Solange über die Erkrankung auch in Ärztekreisen nicht besser aufgeklärt wird und solange noch keine Biomarker für die Erkrankung erforscht wurden, wird man von Ärztinnen und Ärzten oft als psychisch krank stigmatisiert. Und das bringt die Gefahr mit sich, dass man nicht richtig behandelt wird, nicht die richtigen Hilfsmittel bekommt und sich die Erkrankung so auf Dauer noch verschlimmert.
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Was wir uns wünschen, ist, dass einfach viel mehr Aufklärung in der Gesellschaft, aber auch unter der Ärzteschaft betrieben wird und vor allem viel mehr Geld in die Forschung und Suche nach einem Heilmittel gesteckt wird. Es braucht Seminare für Ärztinnen und Ärzte, damit sie die Erkrankung schneller erkennen und behandeln können. Und es braucht ein umfassendes Versorgungsnetzwerk für ME/CFS-Betroffene in ganz Deutschland, damit man nicht wie bisher mit der Erkrankung alleine gelassen wird. Ich habe mittlerweile große Angst, an ME/CFS zu sterben, da mein Körper immer schwächer wird.
Laura hat einen Antrag auf eine Sozialassistenz, auf eine 24h-Pflegekraft, gestellt und wartet derzeit auf die Bewilligung. Weil sie nicht mehr arbeiten kann, wird derzeit auch die Erwerbsunfähigkeitsrente sowie ein Antrag auf Schwerbehinderung geprüft.