Nora Krug

Baden-Württemberg War Opa ein Nazi? Autorin aus Karlsruhe auf Spurensuche zur NS-Vergangenheit

Stand: 03.05.2025 13:14 Uhr

Autorin Nora Krug ist der Frage nachgegangen, was ihre Familie vom Holocaust wusste. Was sie dabei über ihren Opa Willi herausfand, verarbeitete sie in der Graphic Novel "Heimat".

Was wussten die eigenen Großeltern oder Eltern wirklich über den Holocaust? Autorin und Illustratorin Nora Krug hat sich vor Jahren auf Spurensuche begeben, um genau das herauszufinden. Was sie dabei über sich, ihre Familie und ganz besonders über ihren Opa Willi lernte, hat sie in einer 2018 veröffentlichten autobiographischen Graphic Novel, eine Art Comic, verarbeitet.

Im Rahmen der diesjährigen baden-württembergischen Literaturtage in Ettlingen (Kreis Karlsruhe) wurde ihr Werk mit dem Namen "Heimat: Ein deutsches Familienalbum" ausgestellt.

Nora Krug

Ein Ausschnitt der Graphic Novel von Nora Krug, in der sie die NS-Vergangenheit ihrer Familie verarbeitet.

Nora Krug: Vor 23 Jahren in die USA ausgewandert

Für Nora Krug ist es immer etwas Besonderes, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie ist für ihre Ausstellung in Ettlingen und ein paar weitere Termine in Deutschland extra aus den USA angereist. Nora Krug wurde 1977 in Karlsruhe geboren, lebt aber mittlerweile seit 23 Jahren in New York. Einmal pro Jahr zieht es sie zurück zu ihrer Familie. Ihre Eltern leben noch in Karlsruhe. "Ich besuche sie jährlich, verbinde aber ansonsten hauptsächlich Kindheitserinnerungen mit Karlsruhe."

Ihre Arbeit an ihrem Buch sei dann aber eine erneute Wiederannäherung an Karlsruhe gewesen, sagt sie - weil sie die Stadt von einer ganz anderen Seite kennengelernt habe.

Ich bin nicht nur Nora Krug, sondern auch eine Repräsentantin meines Landes und auch damit Teil der Geschichte meines eigenen Landes. Nora Krug, Autorin und Illustratorin

Nach dem Abitur ging es für Nora Krug von Karlsruhe raus in die weite Welt: Sie studierte Bühnenbild, Dokumentarfilm und Illustration in England, weitere berufliche Stationen folgten dann in Berlin, New York und Hamburg. Doch die USA haben sie nie ganz losgelassen. Und so landete sie nach einer kurzen Zwischenstation in Kiel wieder in New York: eine Stadt mit stark ausgeprägter jüdischer Kultur, der sie seitdem jeden Tag begegnet - und die ihr damit auch täglich vor Augen führt, wer sie ist: eine Deutsche.

"Als im Ausland lebende Deutsche bin ich mir, meiner eigenen Kultur und Geschichte, noch viel bewusster geworden. Gerade in so einer Stadt wie New York, die ja der Anlaufpunkt für viele jüdische Flüchtlinge auch während des Zweiten Weltkriegs war", erzählt Nora Krug. "Und da war ich natürlich oft die einzige Deutsche im Raum und wusste dann auch: Okay, ich bin jetzt nicht nur die Nora Krug, sondern ich bin jetzt eine Repräsentantin meines Landes."

Nora Krug

Teile ihres Werkes "Heimat: Ein deutsches Familienalbum" wurden im Rahmen der Literaturtage Baden-Württemberg in Ettlingen ausgestellt.

Nora Krug: Opa Willi war Mitglied der NSDAP

Die Konfrontation mit ihrer Herkunft regte sie zum Nachdenken an. Ihr wurde bewusst, dass sie zwar im Schulunterricht viel über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg gelernt hatte. Welche Rolle ihre eigene Familie aber im Nationalsozialismus spielte, das blieb unklar. Ihr wurde immer klarer: Ich weiß nichts über meine eigene Familiengeschichte. Und so wuchs immer mehr das Bedürfnis, sich damit auseinanderzusetzen - auch mit ihren eigenen Schuldgefühlen. "Ich wollte eine Art Zeugnis schaffen davon, wie das für uns Deutsche heute ist, mit diesem Erbe umzugehen."

Die Bestsellerautorin recherchierte zwei Jahre lang für ihr Buch. Sie durchforstete Archive, Polizeiakten und sprach mit Familienangehörigen. Der wichtigste Fund, sagt sie, sei die Spruchkammerakte ihres Großvaters mütterlicherseits in Karlsruhe gewesen. "Spruchkammerakten waren Fragebögen, die die amerikanischen Alliierten an die Deutschen ausgeteilten. Jeder Deutsche über 18 Jahre im westlichen Sektor musste damals einen solchen Fragebogen mit mehr als 300 Fragen ausfüllen und Rechenschaft darüber ablegen, was er oder sie während dem Nazi-Regime getan hat", erklärt die 48-Jährige.

In dieser Akte steht es dann geschrieben: Ihr Großvater Willi war Mitglied der NSDAP. 1933 ist er eingetreten. "Was für uns alle eine große Überraschung war, weil er vor und nach dem Krieg die SPD gewählt hat." Heute weiß sie: Ihr Opa scheint kein großer Nazi gewesen zu sein. "Sonst hätte ich nämlich mehr Informationen gefunden." Sie weiß lediglich, dass ihr Großvater eine Fahrschule hatte und dort Soldaten ausgebildete. Viele andere Fragen blieben unbeantwortet.

Nora Krug

Was wussten die Großeltern vom Holocaust?

Nora Krug arbeitete sich akribisch in die Vergangenheit ihrer Familie ein. Immer wieder kamen die gleichen Fragen auf: Was hat mein Opa gesehen? Was hat er gewusst? Fragen, die sich viele Nachfahren heute auch stellen. Krug ließen sie solange nicht in Ruhe, bis sie auf alles eine Antwort fand, für das es eine Antwort gab. Ihre Großeltern befragen konnte sie nicht. Als Nora Krug acht Jahre alt war, starben beide.

Das Ziel des Buches sei nicht nur gewesen, Antworten zu finden, sondern sie auch für sich in die heutige Zeit mitzunehmen: "Wovor verschließe ich heute die Augen? Wo muss ich noch genau hinschauen? Wir sind alle potenzielle Zeugen und wir haben alle eine Wahl, hinzuschauen oder weg zu schauen", sagt Krug. Es sei ihr auch wichtig gewesen, sich nicht vor ihrer eigenen Familiengeschichte zu verstecken, sondern Fragen zu stellen. "Was ist eigentlich ein Nazi? Was macht eigentlich einen Mitläufer aus, also die größte Gruppe, zu der ja fast alle Deutschen gehört haben?"

Nora Krug

Die Ausstellung zum Buch von Nora Krug im Horbachpark in Ettlingen.

Nora Krug: Auch heute Verantwortung für die Geschichte des eigenen Landes übernehmen

Die Frage nach Schuld und Verantwortung treibt Nora Krug auch heute noch um. Doch das Leben sei kein Buch, in dem man einfach einen Schlussstrich drunter setzen könne. Besonders das Erstarken rechter Parteien mache ihr Sorgen, sagt sie. "Eine Hoffnung ist eben immer, dass es in meinem Buch nicht nur um mich und meine Familie und nur um die Deutschen geht, sondern um die Verantwortung eines jeden Menschen, sich mit der Geschichte des eigenen Landes auseinanderzusetzen und dafür Verantwortung zu tragen."

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