
Baden-Württemberg Autofahren bis ins hohe Alter: Nur die wenigsten Senioren in BW geben Führerschein freiwillig ab
Immer mehr Senioren wollen bis ins hohe Alter mit dem eigenen Auto unterwegs sein. Experten fordern Fahrtests, das Verkehrsministerium setzt weiter auf Freiwilligkeit. Reicht das aus?
Selbstbestimmte Mobilität auf der Straße bis ins hohe Alter ist vielen Seniorinnen und Senioren in Baden-Württemberg wichtig. Manche verweisen auf schwache ÖPNV-Verbindungen auf dem Land und das eigene weiterhin bestehende Fahrvermögen, andere geben allerdings auch freiwillig ihren Führerschein ab, wenn sie merken, dass sie sich im Alter am Steuer nicht mehr so sicher fühlen.
Eine Überprüfung hilft da womöglich weiter: Heinz Vetter ist 88 Jahre alt und will seine Fahrtauglichkeit unter Beweis stellen. Er fährt noch gerne Auto, doch irgendwann haben ihn seine Enkel immer wieder gefragt, ob das noch eine gute Idee ist. Seinen Führerschein abgeben will er aber nicht. "Es gibt so viele Situationen, auch in der Familie, wo ich ohne Auto nicht zurechtzukommen würde, das wäre eine Katastrophe", sagt der Rentner. So ist er in der Fahrschule von Heike Hilbig in Leinzell bei Schwäbisch Gmünd im Ostalbkreis gelandet. Die erfahrene Fahrlehrerin bietet in Zusammenarbeit mit dem ADAC "Fahrfitness-Checks" für Senioren an.
Als über 80-jähriger Senior hinterm Steuer ist Vetter nicht alleine: Laut Kraftfahrt-Bundesamt besaßen zum neuen Jahr 2025 noch etwa 1,9 Millionen Menschen über 65 Jahren in Baden-Württemberg einen registrierten Führerschein. Wie viele von ihnen tatsächlich noch regelmäßig fahren ist schwer zu beziffern, doch nur die wenigsten verzichten offiziell auf ihren Führerschein. 2023 haben gerade einmal 3.288 Personen über 65 Jahren ihre Fahrerlaubnis zurückgegeben, heißt es auf SWR-Anfrage.
Immer mehr Senioren verunglücken mit dem Auto in BW
Immer wieder kracht es auf Baden-Württembergs Straßen und die Statistik zeigt: Ältere Fahrerinnen und Fahrer sind immer häufiger daran beteiligt - wie zuletzt in Gerlingen: Dort landete das Auto eines 86-Jährigen auf einem Friedhof und fing Feuer. Meldungen wie diese befeuern immer wieder die Diskussion, ob es strengere Regelungen für ältere Autofahrerinnen oder -fahrer und verpflichtende Fahrtauglichkeitstests braucht.
Die Zahl der an Unfällen mit Verletzten und Getöteten beteiligten Autofahrer stieg zwischen 2013 und 2023 in der Gruppe der älteren Fahrenden ab 75 Jahren um 14 Prozent auf rund 2.400, so eine Auswertung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Drei von vier Beteiligten ab 75 Jahren hätten den Zahlen zufolge 2023 den Unfall selbst verursacht (76 Prozent) und sie waren in 1.839 Fällen Hauptverursacher - das sind 15 Prozent mehr als 2013. Das sei eine Entwicklung entgegen dem Trend, denn über alle Altersgruppen hinweg ging die Zahl der Unfälle um 20 Prozent zurück, auf rund 34.900.
Ein Grund warum Seniorinnen und Senioren häufiger in Autounfälle verwickelt sein sollen: Immer mehr Ältere sind auf den Straßen im Land unterwegs, sagt Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer im GDV. Der Auswertung zufolge nahm die von der Generation 75 Jahre und älter mit dem Auto zurückgelegte Strecke zwischen 2008 und 2017 um knapp 81 Prozent zu.
Es sei zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt. Dadurch steige das Unfallrisiko deutlich an, denn insbesondere ab 75 Jahren lässt die Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsgeschwindigkeit sukzessive nach. Das zeige sich besonders in komplexen Verkehrssituationen an Kreuzungen mit vielen Fußgängern, Autos und Radfahrern oder auch auf ungewohnten Strecken.
Verkehrsministerium setzt weiter auf Freiwilligkeit
Um das Unfallrisiko auf den Straßen zu senken, wird oft diskutiert, ob Seniorinnen und Senioren ab einem bestimmten Alter verpflichtend ihre Fahrtauglichkeit unter Beweis stellen müssten. Wie etwa in der Schweiz: Dort müssen alle Menschen im Alter von 75 Jahren und mehr alle zwei Jahre zu einer medizinischen Kontrolle zu ihrem Hausarzt.
Doch eine solche gesetzliche Regelung lehnt das baden-württembergische Verkehrsministerium ab und setzt weiter auf die Eigenverantwortung der Senioren. "Fahrtüchtigkeit ist nicht allein eine Frage des Alters", sagte der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) auf SWR-Anfrage. Allgemeine Regeln oder gar ein pauschaler Führerscheinentzug seien nicht zielführend. "Wer sich unsicher fühlt, sollte die Fahrtauglichkeit freiwillig von Ärzten oder Fahrlehrern prüfen lassen."
Auch der ADAC Württemberg hält eine gesetzliche Pflicht zu Fahreignungsprüfungen für ältere Menschen nicht für verhältnismäßig. Ältere seien nicht pauschal die schlechteren Fahrer. Entscheidend sei nicht das Lebensalter, sondern neben dem Gesundheitszustand auch die Fahrerfahrung. Ältere fahren häufig vorausschauender, meiden riskante Manöver und halten größeren Abstand.
Unfallursache Nummer 1 für tödliche Verkehrsunfälle unter jüngeren Menschen bleibt auch laut aktueller Unfallstatistik zum Jahr 2024 das Rasen. Außerdem führen Ablenkung, beispielsweise durch das Smartphone oder Alkohol und Drogen am häufigsten dazu, dass es kracht. Bei den Seniorinnen und Senioren hinterm Steuer sieht das anders aus, so der ADAC: In dieser Altersgruppe zählt das Missachten von Vorfahrtsregeln oder Fehlverhalten beim Wenden, Abbiegen und Rückwärtsfahren häufiger zu Unfällen. "Mit einem besonnenen und selbstkritischen Fahrverhalten können altersbedingte Leistungseinbußen häufig ausreichend kompensiert werden", sagt Holger Bach vom ADAC Württemberg dem SWR.
So sieht es auch Bernd Ebert vom Landesseniorenrat Baden-Württemberg. Er selbst ist 78 Jahre alt und sitzt seit seinem 18. Lebensjahr hinterm Steuer. Zeitweise sei er auch beruflich gefahren - dennoch hat er sein Fahrverhalten seinem Alter angepasst, erzählt der Rentner aus dem Neckar-Odenwald-Kreis. Auch er möchte noch fahren, solange es möglich ist. Er sei auf sein Auto angewiesen. "Doch ich bin ein vernünftiger Autofahrer geworden, der auch seine großen Strecken vernünftig plant und nicht zu Konfliktzeiten unterwegs sein muss."
Wir halten das vereinfachte Verknüpfen von Lebensalter und Fahreignung für ein ungeeignetes Instrument. Das wäre eine Form von Altersdiskriminierung. Bernd Ebert, Landesseniorenrat Baden-Württemberg
Kritik des Landesseniorenrats BW: Verpflichtende Fahrtests für Ältere sind Altersdiskriminierung
Der Landesseniorenrat Baden-Württemberg hat sich wiederholt gegen Forderungen ausgesprochen, Fahrtauglichkeitstests ab einem bestimmten Alter verpflichtend einzuführen. "Wir halten das vereinfachte Verknüpfen von Lebensalter und Fahreignung für ein ungeeignetes Instrument, wenn es darum geht, die Fahrsicherheit von älteren Menschen zu steigern oder zumindest zu erhalten", sagt Ebert. "Das wäre eine Form von Altersdiskriminierung." Denn auch bei jüngeren Fahrerinnen und Fahrern könnte sich die Fahreignung beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen verändern. Eine Alternative wäre ein System, das vorsieht, dass alle Fahrerinnen und Fahrer - unabhängig vom Alter - nach einer bestimmten Zeit ihre Fahrtauglichkeit nachweisen müssen. "Aber für Alle, von Anfang an, von Jung bis Alt - dann würden wir uns dagegen auch nicht mehr wehren, weil das eben für alle zutrifft."
Eine große Rolle spiele aber auch der Ausbau des ÖPNV: Vor allem auf dem Land seien viele Seniorinnen und Senioren deshalb auf ihr Auto angewiesen, weil das Angebot von Bus und Bahn nicht ausreicht. Sicherlich könnten viele Ältere davon überzeugt werden, umzusteigen, wenn das Angebot im öffentlichen Nahverkehr verbessert werden würde.
In vielen Kommunen in Baden-Württemberg erhält man für einen abgegebenen Führerschein ein kostenloses ÖPNV-Abo - zum Beispiel in Ludwigsburg, Stuttgart oder Karlsruhe. Im Raum Stuttgart haben vergangenes Jahr 436 ältere Autofahrerinnen und Autofahrer dieses Angebot genutzt und so auf ihren Führerschein verzichtet, teilte die Stadt mit. Solche Angebote sollten vor allem in großen Städten ausgebaut werden, weil es dort entsprechende Angebote im ÖPNV gibt, findet Ebert. Außerdem sollte noch mehr für freiwillige Fahrtests beispielsweise durch Ärzte geworben werden.
Experten fordern Fahrtests für ältere Autofahrer
Insbesondere die Rückmeldefahrten, so wie der Fahrfitness-Check, den Heinz Vetter in der Fahrschule von Heike Hilbig macht, würden dabei helfen, möglichst lange sicher Auto zu fahren - so sieht es auch die Unfallforscherin Zeidler: "Fahrende erhalten nach einer 45-minütigen Fahrt im eigenen Auto eine vertrauliche Rückmeldung von Experten und können ihr Fahren anpassen." Solche Fahrsicherheitstrainings bieten viele Fahrschulen an. In Leinzell kosten sie 95 Euro. Laut ADAC haben 2024 landesweit 310 Seniorinnen und Senioren daran teilgenommen.
Der älteste Fahrer, den ich in der Fahrstunde hatte, der ist tatsächlich mittlerweile 101 - der fährt auch noch Auto. Und der kam damals mit 94 zu mir. Heike Hilbig, Fahrlehrerin aus Leinzell (Ostalbkreis)
Heike Hilbig gibt regelmäßig Fahrstunden für ältere Fahrerinnen und Fahrer, die ihre Fahrtauglichkeit testen wollen. "Ich habe fast jede Woche einen Fahrcheck", sagt die Fahrlehrerin. Oft kommen die Senioren auf Anraten von Familienmitgliedern, wie Vetter. Gefahren wird im privaten Pkw der Senioren. Die sollen in Alltagssituationen auf der Straße zeigen, wie sie mit den Herausforderungen im Verkehr umgehen. Sie achte vor allem darauf, ob die Abstände zum Randstein eingehalten werden oder ob es bereits Einschränkungen in der Bewegung gibt - das seien Schwächen von Fahrern in höherem Alter. Hilbigs Aufgabe sei es dann einzuschätzen, ob die Fahrerin oder der Fahrer noch alles im Griff haben und ob sie auch gesundheitlich fit genug fürs Fahren sind.
"Wenn es dann wirklich so schlecht ist, dann sage ich dann auch: Ich würde nicht mehr fahren." Für die Senioren ist sie dann auch eine Instanz. "Wenn es ein Angehöriger sagen würde, wäre das nochmal was anderes. Die fassen das auch wirklich so auf und sagen: Wenn Frau Hilbig sagt, ich soll nicht mehr fahren, dann mache ich das auch", erzählt die Fahrlehrerin.
Und Vetter, würde er auf Frau Hilbig hören und seinen Führerschein abgeben, wenn sie sagt, es geht nicht mehr? "Das werde ich wohl tun", sagt der 88-Jährige, auch wenn es ihm schwer fällt - "weil ich nicht jemand anderen schädigen möchte."